Wie können die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Biodiversität gemessen werden?
Methoden, um die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion und des -konsums auf Biodiversität produktbezogen zu messen, sind noch nicht etabliert und noch nicht vollständig entwickelt. Dies erschwert es Unternehmen, Biodiversität in die Produktentwicklung und in das Lieferant:innenmanagement zu integrieren. Zwei wesentliche Treiber von Biodiversitätsverlust sind noch zu adressieren:
- Wie lassen sich die vornehmlich wissenschaftlichen Methoden in die unternehmerische Praxis überführen?
- Wie können Erkenntnisse zu normativen Werthaltungen in die Methode integriert werden?
- Wie kann die Beeinträchtigung aquatischer Biodiversität gemessen werden?
- Wie können diffuse Einflüsse, die nicht direkt durch Landnutzung verursacht werden, bspw. die schnelle Verschiebung klimatischer Randbedingungen, in die bestehenden Wirkungsabschätzungen integriert werden?
Modul 2 setzt an dieser Stelle an und hat zum Ziel, die bereits bestehende Biodiversitätswirkungsabschätzungsmethode nach Lindner et al. (2019) in Zusammenarbeit mit den kooperierenden Unternehmen (FRoSTA, Ritter Sport, Seeberger) hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu überprüfen. In iterativen Verfahren wird die Wirkungsabschätzungsmethode terrestrische Biodiversität mit Hinblick auf Anwendbarkeit und Nutzer:innenfreundlichkeit optimiert, um den Anspruch einer leicht anwendbaren und gleichzeitig wissenschaftlich fundierten Methode sicher zu stellen. Parallel dazu wird die bisher auf terrestrische Biodiversität beschränkte Wirkungsabschätzungsmethode weiterentwickelt. Zum einen werden die Biodiversitätswirkungen der diffusen Effekte, die durch nicht-punktuelle bzw. nicht-flächengebundene Belastungen entstehen, integriert. Weiterhin wird die Wirkungsabschätzungsmethode um die Dimension der aquatischen Biodiversität erweitert. Somit wird der Weg zu einer ganzheitlichen Biodiversitätswirkungsabschätzungsmethode geebnet, die wissenschaftlich validiert und im Praxisumfeld erprobt ist.
Factsheet für Unternehmen “Wirkungsabschätzung landnutzender Prozesse auf die biologische Vielfalt”
Die Basis: Wirkungsabschätzungsmethode terrestrische Biodiversität
Die bereits bestehende Methode von Lindner et al. (2019), um Wirkungen auf Biodiversität im Rahmen einer Produktökobilanz abzuschätzen, dient als Basis für die Methodenentwicklung in BioVal.
Die Methode zur Abschätzung der Biodiversitätswirkung geht davon aus, dass eine Fläche, auf der beispielsweise Landwirtschaft betrieben wird, einen Lebensraum für verschiedene Tier- und Pflanzenarten bietet. Der Zustand der Fläche bildet in gewisser Weise die Qualität des Lebensraumes ab und steht dabei im Zusammenhang mit dem Grad der auf dieser Fläche bestehenden und potentiellen biologischen Vielfalt. Je besser der Zustand der Fläche, umso höher das Biodiversitätspotential. Jeder Eingriff, bspw. durch die Bearbeitung des Bodens oder durch den Einsatz von Düngemitteln oder Pestiziden hat dabei einen Einfluss auf den Zustand der betrachteten Fläche bzw. den Lebensraum. Aber auch Faktoren, die nicht offensichtlich sind, bspw. strukturgebende Elemente, also Elemente, die der Fläche Struktur verleihen und damit auch verschiedene Tier- und Pflanzenarten Lebensräume bieten, haben einen Einfluss auf die biologische Vielfalt. Diese sogenannten Managementparameter bestimmen also auf gewisse Art und Weise den Einfluss eines landnutzenden Prozesses, bspw. dem Anbau von Zuckerrüben, auf die Biodiversität.
Die Methode nach Lindner et al. (2019) erlaubt es, mit Hilfe eines über Jahre entwickelten Rechenmodells diese Einflüsse zu quantifizieren und zu einem lokalen Biodiversitätswert zusammenzufassen. Der lokale Biodiversitätswert hängt sowohl von der Ausprägung der Managementparameter als auch von der Landnutzungsart (bspw. Acker, Weidefläche, Bergbau) ab.
Da die verschiedenen Regionen auf der Erde aufgrund ihrer biogeographischen Begebenheiten von Grund auf einen unterschiedlichen Grad an Biodiversität aufweisen, hat ein landnutzender Prozess in Regionen mit einer großen biologischen Vielfalt global gesehen einen größeren Einfluss, als in Regionen mit niedriger Biodiversität. Diese globale „Gewichtung“ wird auf Basis von Ökoregionen, also Regionen, die ähnliche biogeographische Charakteristiken aufweisen, integriert. Jede der mehr als 800 Ökoregionen wird dazu ein „Ecoregion Factor“ zugewiesen. Diese Gewichtung ist vor allem in globalen Wertschöpfungsketten relevant.
Was ist eigentlich Ökobilanzierung?
Die Ökobilanz (engl. LCA – Life Cycle Assessment) ist eine Methode zur ganzheitlichen Analyse potenzieller Umweltwirkungen von Produkten, Prozessen, Verfahren oder Dienstleistungen. Ökobilanzen werden zunehmend im Umweltmanagement eingesetzt und können entlang des gesamten Lebenswegs (oder Teilen davon) angewendet werden, um Produkte hinsichtlich ihrer Umweltwirkung zu verbessern und Prozesse zu optimieren.
Bekannte Umweltwirkungskategorien sind beispielsweise der Klimawandel, in der die Auswirkungen der anthropogenen Treibhausgasemissionen auf die Verstärkung des Strahlungsantriebs durch absorbierte Infrarotstrahlung in der Atmosphäre erfasst werden. Diese Verstärkung des Strahlungsantriebs führt zu einem Anstieg der Erdtemperatur, der gemeinhin als Treibhauseffekt bezeichnet wird. Der Treibhauseffekt wird üblicherweise über einen Zeitraum von 100 Jahren ermittelt und in CO2-Äquivalenten angegeben. Neben dem Klimawandel gibt es eine Reihe weiterer Umweltwirkungskategorien, wie beispielsweise Versauerung oder Ressourcenverbrauch.
Wirkungsabschätzungen zu Biodiversität sind bislang noch in Entwicklung.
Diffuse Effekte – Ergänzung der Wirkungsabschätzung terrestrische Biodiversität
Neben direkten Biodiversitätseinflüssen, die beispielsweise durch die Art der Landbewirtschaftung bedingt sind, gibt es auch eine Reihe von Biodiversitätswirkungen, die nicht direkt an einer Punktquelle festzumachen sind. Ein Beispiel ist der Treibhauseffekt und der damit einhergehende Klimawandel. Der Klimawandel führt unter anderem dazu, dass sich Klimazonen verschieben und kälteangepasste Arten zunehmend unter Druck geraten. Die Erwärmung durch den Klimawandel läuft schneller ab, als sich Arten genetisch anpassen oder mit der Temperaturverschiebung wandern können. Der Ausstoß von Treibhausgasen hat also einen indirekten Einfluss auf die Biodiversität und dabei macht es kaum einen Unterschied, wo die klimawirksamen Gase ausgestoßen werden. Weitere Effekte, die eher global bzw. diffus sind, beispielsweise der Eintrag von Stickstoff aus der Luft oder aber die großräumige Zerschneidung von Lebensräumen durch Straßen oder andere Barrieren.
Die meisten dieser Wirkungen können bereits über andere Methoden berechnet werden. In BioVal werden Elemente existierender Methoden genutzt und in das bestehende Rechenmodell eingebaut.
Wirkungsabschätzungsmethode aquatische Biodiversität
Die aktuelle Methode zur Berechnung der Biodiversitätswirkung kann bislang nur auf Produktionsprozesse angewendet werden, die auf einer Landfläche stattfinden. Viele Produktionsprozesse, wie z.B. die Gewinnung von Fisch aus Aquakulturen, finden aber in aquatischen Ökosystemen statt. Die Limitierung der Methodik hängt sowohl mit der bisher noch fehlenden Definition von geeigneten Landnutzungsklassen (bspw. Aquakultur, Schifffahrt) und zugehörigen Managementparametern, als auch mit der für diese Zwecke noch nicht angepassten Rechenstruktur zusammen.
Um die aktuelle Methode zur Berechnung der Biodiversitätswirkung auf aquatische Biodiversität (marin und limnisch) zu erweitern, wird in BioVal eine geeignete grundlegende Struktur geschaffen. Analog zu Landnutzungsklassen werden abgrenzbare Wassernutzungsklassen definiert (z. B. Fischerei, Aquakultur, Tourismus) und für jede Klasse wird eine Liste mit relevanten Parametern erarbeitet (z. B. Maschenweite von Netzen, Antibiotika in der Aquakultur).
Auf diese Weise kann die Abschätzung der Biodiversitätswirkung auch auf Gewässer erfolgen.
Im Rahmen der Methodenentwicklung finden zwei Workshops mit externen Expert:innen statt. Zudem wird der Input aus den Reallaboren sowie aus dem Arbeitskreis Biodiversität aufgegriffen. In die Methodenentwicklung werden außerdem das EU Joint Research Center und die UN Life Cycle Initiative einbezogen.